Warum gibt es den Pflichtteilsergänzungsanspruch?
Er soll sicherstellen, dass Pflichtteilsberechtigte – etwa Kinder oder Ehegatten – nicht leer ausgehen, nur weil der Erblasser sein Vermögen vor dem Tod verschenkt hat. Deshalb wird der Wert solcher Zuwendungen rechnerisch zum Nachlass hinzugezählt. Die daraus resultierende Ergänzungsforderung erhöht den Anspruch des Berechtigten.
Beispiel: Ein Nachlass von 100.000 € plus 20.000 € verschenkt ergibt 120.000 €. Davon erhält ein Abkömmling mit Anspruch auf die Hälfte insgesamt 60.000 € – 10.000 € mehr als ursprünglich.
Welche Zuwendungen zählen?
Relevant sind unentgeltliche Leistungen im Sinne der Schenkung (§ 516 BGB), sofern keine echte Gegenleistung vereinbart wurde. Bei auffälligem Wertunterschied spricht man von einer gemischten Schenkung. Reine Gefälligkeiten oder Unterstützungen, die sozial üblich sind (Anstandsschenkungen), bleiben unberücksichtigt.
Hat der Bedachte z. B. Pflegeleistungen übernommen oder gab es eine andere Gegenleistung, liegt keine unentgeltliche Zuwendung vor. Auch Ehegattenschenkungen, die der gemeinsamen Lebensführung dienen, werden einbezogen.
Sonderfall Lebensversicherung: Hier kommt es nicht mehr auf die gezahlten Beiträge an, sondern auf den objektiven Wert, etwa den Rückkaufswert, am Todestag.
Zeitliche Grenze – die 10-Jahres-Regel
Geschenke bleiben nur dann relevant, wenn sie innerhalb von zehn Jahren vor dem Erbfall gemacht wurden. Neu ist: Der Wert „schmilzt“ pro Jahr um zehn Prozent ab. Nach einem Jahr gilt er noch zu 90 %, nach zwei Jahren zu 80 % – und so weiter.
Wird etwa ein Haus verschenkt, startet diese Frist nicht sofort, sondern erst mit der Eintragung im Grundbuch. Hat sich der Schenkende ein Nießbrauchrecht oder umfassendes Wohnrecht vorbehalten, läuft die Frist unter Umständen gar nicht.
Bei Zuwendungen unter Ehegatten beginnt sie frühestens mit Auflösung der Ehe.
Wertbestimmung
Welcher Betrag berücksichtigt wird, hängt vom Zeitpunkt ab: Maßgeblich ist der jeweils geringere Wert – entweder bei der Übergabe oder beim Erbfall (sogenanntes Niederstwertprinzip). Dabei bleibt ein vorbehaltenes Nutzungsrecht unberücksichtigt, da es mit dem Tod erlischt.
Wer kann was verlangen – und von wem?
Berechtigt ist, wer zum Zeitpunkt des Erbfalls pflichtteilsberechtigt ist – unabhängig vom Zeitpunkt der Schenkung. Der Anspruch besteht auch dann, wenn jemand im Testament bereits etwas bekommen hat, solange dieser Anteil durch vorherige Zuwendungen gemindert wurde.
Verpflichtet ist in erster Linie der Erbe. Reicht dessen Haftung nicht aus, kann auch der Empfänger des Geschenks in Anspruch genommen werden – entweder durch Rückgabe oder durch Wertersatz.
Auskunftsanspruch
Pflichtteilsberechtigte können Informationen über das Vermögen des Erblassers verlangen – dazu gehören auch alle Zuwendungen innerhalb der letzten zehn Jahre